Jan 242012
 

Liebe Fotograf_innen und Kameraleute

Das Dokumentieren von Demonstrationen, Aktionen und Polizeirepression ist wichtig. Überlassen wir die Berichterstattung über Demonstrationen und Aktionen nicht der Polizeipressestelle und Mainstreammedien. Eigene Berichte auf selbst gewählten Kanälen und in eigenen Medien helfen uns, Informationen und Erfahrungen auszutauschen, zu reflektieren und unsere Bewegungen weiter zu entwickeln. Mit unseren Interventionen in Mediendiskurse untergraben wir die Deutungshoheit der Behörden über die Geschehnisse auf der Straße. Das richtige Foto zur richtigen Zeit kann Polizeilügen aufdecken und Anklagen in sich zusammenbrechen lassen.

Eine Gefährdung von Demonstrant_innen müssen wir dabei aber freilich unter allen Umständen vermeiden.

Die Behörden sammeln Gesichter von Aktivist_innen, um sie zu identifizieren, Verbindungen zwischen Demonstrant_innen aufzudecken, kriminelle und terroristische Organisationen zu konstruieren, oder wozu sie sich sonst gerade veranlasst fühlen. Und auch Neonazis, FPÖ, Abtreibungsgegner_innen und Ähnliche haben Interesse an Bildern ihrer Gegner_innen, also von uns, zum Beispiel für Aufrufe zur Kriminalisierung oder zur Gewalt gegen Linke, Antifaschist_innen, Feministinnen, … Helfen wir ihnen nicht dabei!

Einmal gemachte Bilder vernichten sich nicht von selbst. Im Internet überdauern sie länger als den Abgebildeten oft lieb ist, selbst wenn es ihnen heute nichts ausmacht. Sie können noch Jahre später zu den ungünstigsten Zeitpunkten von Behörden, Neonazis, Arbeitgeber_innen gefunden und gegen die Abgebildeten verwendet werden.

Lasst uns verantwortungsvoll mit unseren Kameras umgehen.

Wenn du fotografierst oder filmst:

  • Überprüfe vor der Demo welche privaten Aufnahmen oder Aufnahmen von früheren Demos/Aktionen du auf deinem Gerät hast und lösche sie gründlich! Einfach gelöschte Daten sind leicht wieder herstellbar – deswegen unbedingt regelmäßig die Datenträger austauschen oder „wipen“!
  • Überlege dir vor der Demo, was und wofür du fotografierst/filmst. Willst du nur deine Privatsammlung aufpeppen, dann lass es bitte bleiben!
  • Sei dir bewusst, dass dir die Speichermedien abhanden kommen können, denk daran auch schon beim Filmen/Fotografieren. Überlege dir, wie du potentiell problematische Aufnahmen schnell aus der Reichweite der Behörden bekommst und nimm Ersatzkarten mit.
  • Bei „Straftaten“ oder unklaren Situationen das Fotografieren und Filmen direkt und sofort einstellen! Die reißerische „Action-Cam“ für die nächsten „geilen Mobivideos“ braucht kein Mensch. Aber sie gefährdet Aktivist_innen!
    Bei der Veröffentlichung von Bildern achte darauf, dass keine Leute mehr zu erkennen und zu identifizieren sind. Mache Gesichter unkenntlich, damit sie nicht zur Grundlage behördlicher Bedrohungskonstruktionen und nicht zur Illustration von Abschusslisten von Neonazis verwendet werden können.
  • Mache keine Portraitaufnahmen von Leuten.
    Du trägst die Verantwortung dafür, dass die von dir gemachten Aufnahmen niemals in falsche Hände geraten! Verschlüssle daher Bilder, Filme, Speicherkarte und die Festplatte zuhause.
  • Frage Leute bevor du sie filmst oder fotografierst, ob sie damit einverstanden sind. Du gibst ihnen dadurch die Gelegenheit, selbst zu entscheiden und z.B. das schicke Transpi, welches unbedingt eine breite Öffentlichkeit sehen sollte, kameragerecht vors Gesicht zu halten. Damit hast du ein gutes Foto und auch die Gewissheit solidarische Medienarbeit zu machen. Wenn du ein „Nein“ bekommst, dann akzeptiere es. Es gibt für viele gute Gründe – Arbeit, Eltern, Repression, usw. – warum sie nicht ihr Gesicht in irgendwelchen Medien sehen wollen.
  • Gib den Leuten die Möglichkeit, sich vor einer Aufnahme zu schützen. Mache keine versteckten Aufnahmen, sondern zeige allen deutlich, dass du fotografierst oder filmst, etwa indem du dir eine Jacke anziehst oder eine Tafel umhängst oder ein Fähnchen ansteckst, worauf deutlich „Fotograf_in“, „Vorsicht Kamera!“, „Doku-Team“, „Presse“ oder Ähnliches steht.
  • Nicht alle, die du interviewst, sind geübt oder geschult im Umgang mit Medien. Unterbrich sie und stoppe die Aufnahme, wenn sie sich oder andere mit ihren Aussagen gefährden.
  • Bedenke insbesondere bei Live-Streams, dass das, was du sendest, von Behörden und gewalttätigen Gegner_innen gespeichert und verwendet wird, ohne dass du die Möglichkeit hast, heikle Szenen rauszuschneiden.
    Schwenke die Kamera notfalls nach unten, bedenke aber, dass Personen auch anhand ihrer Kleidung und Schuhe identifiziert werden können.
  • Wenn du Aufnahmen gemacht hast, die für ein polizeiliches oder gerichtliches Verfahren von Bedeutung sein können, mit denen z.B. polizeiliche Vorwürfe gegen eine oder mehrere Personen entkräftet werden können, veröffentliche diese nicht, sondern lasse sie auf sicheren Wegen der Rechtshilfe zukommen, damit sich die Polizist_innen ihre Aussagen nicht in Kenntnis der Aufnahmen zurechtbiegen können.

Liebe Twitterant_innen, Facebooker_innen, SMS-Schreiber_innen

Neue Medien erlauben, rasch Information über Geschehnisse auf Demonstrationen nach außen zu bringen, um das Meinungsklima über die Proteste zu beeinflussen oder um solidarische Personen zu mobilisieren oder auch um innerhalb der Demonstration zu kommunizieren.

Bitte bedenke aber, dass alle diese Meldungen nicht intern bleiben. Überlege, was du wie weitergibst. Für die Weitergabe geheimer Treffpunkte eignen sich diese Medien nicht.
Wenn du Informationen über solche Kanäle bekommst, versuche die Vertrauenswürdigkeit deiner Quelle einzuschätzen. Gerade bei Großdemonstrationen kommt es immer wieder zu Falschinformationen, die lanciert werden, um Verwirrung zu stiften.
Wenn du wichtige gesicherte Informationen erhalten hast, gib sie auch an andere Demonstrant_innen weiter. Kommunikation funktioniert auch mündlich, ohne Smartphone, bisweilen sogar schneller und verlässlicher.

Liebe Bloger_innen, Ticker_innen, Berichteschreiber_innen

Berichterstattung, Kommentare, Nacherzählungen sind ein wichtiger Bestandteil von Protesten und Aktionen. Sie bieten die Möglichkeit – unabhängig von Mainstream-Medien und APA-Meldungen – Gegenöffentlichkeit herzustellen, und für kommende Aktionen auch Reflexionsprozesse unterstützt. Wie bei anderen Medienformaten gilt es aber auch hier mitzudenken! Repressionsbehörden lesen mit! Veröffentlicht keine Namen von Personen. So wie Fotos können natürlich auch Namen in Berichten unangenehmen Folgen für die Betroffenen haben. Stellt keine wilden Spekulationen an, streut keine Gerüchte sondern, wenn sie unbedingt sein müssen, kennzeichnet diese klar als solche, veröffentlicht keine Interna! Achtet auch auf eure eigene Sicherheit und veröffentlicht im Zweifelsfall die Berichte anonym.

Erstunterzeichner_innen:

at.indymedia https://at.indymedia.org
n3tw0rk https://www.n3tw0rk.org
@porrporr http://noborders.noblogs.org
nochrichten.net http://nochrichten.net
NOWKR-Sondersendungsredaktion bei ORANGE 94.0
Rosa Antifa Wien http://www.raw.at
ZIP-FM-Lokalredaktion bei ORANGE 94.0

 Posted by on Di., 24. Januar 2012 at 10:41