An die 340 Personen beteiligten sich am 20. Juni am Aufmarsch rechtsextremer christlicher Fundamentalist_innen in Wien gegen die gleichzeitig stattfindende Regenbogenparade, gegen Homosexuelle, Frauenrechte, Abtreibung und von ihnen so genannten Genderwahn. Aufgerufen dazu wurde neuerlich unter dem Namen „Plattform Familie“, hinter der unter anderem die radikalen frauenfeindlichen Abtreibungsgegner_innen von „Pro Vita“ mit ihrem Obmann Alfons Adam stehen. Offen neonazistische Agitation gab es heuer keine. Stattdessen war die ÖVP mit Redner_innen stark vertreten. Es durften nur von den Organisator_innen vorbereitete Tafeln getragen werden. Die „Europäische Aktion“ war in diesem Jahr zumindest nicht sichtbar. Polnische Nationalist_innen der „Wiedeńska Inicjatywa Narodowa“ waren zwar auch dieses Jahr dabei, allerdings ohne eigene Fahnen. Sie wurden von der Polizei am Beginn der Veranstaltung sogar Identitätsfeststellungen unterzogen. Der abgesetzte Sprecher der Pegida Wien, Georg Immanuel Nagel, der mit seiner neuen Aktionsgruppe „Gegen Dekadenz und Werteverfall“ auch zum „Marsch für die Familie“ aufgerufen hatte, war freilich auch mit dabei. Nähe zur Pegida zeigte sich auch an den eingesetzten Securities. Das waren zumindest zum Teil dieselben wie bei der Pegida-Kundgebung im April.
Gegen den rechtsextremen „Marsch für die Familie“ wurde von feministischen, LGBTIQ- und antifaschistischen Gruppen mobilisiert. Eine Gegenkundgebung am Stock-im-Eisen-Platz wurde von der Polizei untersagt. Lediglich eine Kundgebung am weit entfernten Michaelerplatz wurde nicht untersagt. Trotzdem kamen hunderte Gegner_innen des rechtsextrem-katholischen Marsches zum Stephansplatz. Sie wurden von der Polizei auf Abstand gehalten. Am Graben gelang es einigen, den rechtsextremen Marsch für kurze Zeit aufzuhalten. Die Polizei drängte die antifaschistischen, feministischen und LGBTIQ-Aktivist_innen vorerst nur weg. Kurz darauf ging sie auch mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen sie vor.
Während der Abschlusskundgebung der Rechstextremen skandierten einige Aktivist_innen auf der fast 100 Meter entfernten Herrengasse Parolen. Die Polizei vertrieb sie, kesselte sie ein und setzte neuerlich Pfefferspray ein.
Zahlreiche LGBTIQ-Aktivist_innen, Feministinnen und Antifaschist_innen wurden Identitätsfeststellungen unterzogen. Laut Polizei wurden drei Personen vorübergehend festgenommen. Es seien mehrere Anzeigen sowohl nach dem Verwaltungs- als auch nach dem Strafrecht gelegt worden.
Die letzte Festgenommene wurde am Abend entlassen.
Die ÖH Uni Wien sprach in einer Aussendung von einem untragbaren eskalativen Verhalten des polizeilichen Einsatzkommandanten Oberstleutnant Werner G. Er habe Befehle zu Pfeffersprayeinsätzen gegen bloß umherstehende oder sich vom Geschehen wegbewegende Personen gegeben.
Beim rechtsextremen „Marsch für die Familie“ traten als Redner_innen auf:
Emanuel Aydin, Chorepiskopos der syrisch-orthodoxen Kirche, wetterte vor allem gegen Abtreibungen. Ein Staat, der das „unveräußerliche Naturrecht“ auf Leben vom Ungeborenen bis zum Greis am Totenbett nicht akzeptiert, wende sich in „schroffer Arroganz“ gegen die Schöpfungsordnung Gottes. Unzüchtige, Götzendiener, Ehebrecher, Lustknaben, Knabenschänder, Diebe und Räuber würden nicht das Reich Gottes erben. Außerdem dürfe der Staat sich nicht mit einem Kindergartensystem in die Aufgabe der Familie einmischen. Das christliche Familienideal müsse gestärkt werden. Der Staat dürfe nicht durch „pathologische Sexualisierung“ tief in die psychische Entwicklung kleiner Kinder eingreifen. Unschuldige Kinder dürfen nicht schon im Kindergarten verwirrt werden, indem ihnen weisgemacht werde, dass „eine so genannte sexuelle Orientierung“ frei gewählt werden könne, so Aydin.
Ursula Stenzel, die Bezirksvorsteherin der Inneren Stadt (ÖVP), kam, um den christlichen Fundamentalist_innen ihren „Respekt zu erweisen“. Sie bezeichnete es als sehr traurig, dass eine Demonstration angesagt werden müsse, um für grundlegende Werte wie die Familie im christlichen Sinne einzustehen. Sie klagte darüber, dass ihr bereits um 11 Uhr am Vormittag Techno-Lärm entgegenschallte. Der sei von einem Wagen der Wiener Linien gekommen, mit der um Steuergeld die „Gay-Parade“ unterstützt worden sei. Wenn sie gezwungen werde, etwas zu hören, was sie nicht hören will, werde ihr grundlegendes Menschenrecht verletzt, so Stenzel. Dass die Ringstraße die Demonstrationsmeile schlechthin sei, das müsse eingestellt werden. Ihr bei den ÖBB arbeitender Sohn sei gar von den ÖBB abkommandiert worden, um bei der Gay-Parade teilzunehmen. Das sei ein Skandal. Das (die Regenbogenparade) sei eine gelenkte politische Demonstration, die im Wahlkampfjahr von Rot-Grün missbraucht werde. Rot-Grün dürfe die Innenstadt nicht in Geiselhaft nehmen.
Der frühere Team-Stronach- und seit kurzem ÖVP-Nationalratsabgeordnete Marcus Franz, zuletzt durch sein Bekenntnis zu sexuellen Belästigungen bekannt geworden, übermittelte einen „herzlichen Gruß“ des ÖVP-Parlamentsklubs. Die Familie mit Kindern sei unverändert das grundsätzliche Leitbild der ÖVP. Sie bekenne sich zur Ehe von Mann und Frau. Es gebe aber auch überhaupt im Parlament ein klares Votum gegen die Ehe für alle. Im neuen Parteiprogramm der ÖVP stehe auch, dass Schwangerschaftsabbruch abgelehnt wird. Dem Anliegen der Familie und des „Lebensschutzes“ möchte er, Franz, eine starke Stimme verleihen. Was „uns“ künftig ereilen werde, seien Diskussionen über die Fortpflanzungsmedizin. Sexualität werde vom Gebären und Kinderkriegen entkoppelt. Das sei gefährlicher als das, was „wir“ jetzt schon haben. Auch bei einer Gleichstellung von Mann und Frau muss „man“ ganz vorsichtig sein. Weil da werde die „Menschenrechtssituation hineininterpretiert“. Und da wollen „gewisse Gruppen in Europa“ die Abtreibung zum Menschenrecht erklären. Und das könne nicht zum EU-weiten Menschenrecht erklärt werden. Veranstaltungen wie diese seien notwendig, um auf die Grundproblematik des Lebens, die auf „uns“ zukomme, aufmerksam zu machen.
Die Dominikanerin Schwester Katharina Deifel wandte sich vor allem gegen Gender-Mainstreaming. Gleichberechtigung klinge zwar gut. Wenn aber das natürliche Geschlecht dekonstruiert werde, und in einem Gasthaus für jedes der neu erfundenen Geschlechter WCs geschaffen werden müssten, wäre das ganze Gasthaus nur mehr mit Häuseln voll. Heteros würden heute nicht mehr unterstützt, nur LGBTs, und das mit Millionenbeträgen. Die neue Sexualerziehung berücksichtige nicht die Entwicklung des Kindes. In Zusammenhang mit Sexualität sei im Erlass dazu nur von Lustgewinn die Rede. Liebe, Verantwortung und Ehe kommen nicht vor. Es habe nie eine Volksabstimmung gegeben, ob „wir“ eine normale Familie wollen oder etwas anderes. Das sei diktatorisch. Dem müsse entgegengesteuert werden, so Deifel.
Der ehemalige slowakische Ministerpräsident und Gründer der rechten „christlich-demokratischen Bewegung“ KDH (Kresťanskodemokratické hnutie) Ján Čarnogurský sagte, er sei „vom anderen Ufer der Donau angekommen“, weil die Probleme und Schwierigkeiten da und dort dieselben seien. Weil nationale, kulturelle und religiöse Werte angegriffen werden. Vor dreißig Jahren konnte in den Straßen Bratislavas in großen Schriften die Losung gelesen werden: „Es lebe das Arbeitskollektiv, die Grundzelle der sozialistische Gesellschaft.“ In den nächsten dreißig Jahren könnte vielleicht schon in den Wiener Straßen die Losung gelesen werden „Es lebe die Gendergemeinschaft, die Grundzelle der demokratischen Gesellschaft.“ Die marxistische Ideologie sei besiegt worden. Auch die „Genderideologie“ werde besiegt werden.
Nach dem „Marsch für die Familie“ vom Stephansplatz zum Minoritenplatz erzählte der Organisator Alfons Adam noch ein paar „Geschichten“ von „Genderspielen“ in Kindergärten: Kinder seien in Wiener Neustadt gezwungen worden, sich aufeinanderzulegen und Lieder zu singen, die in „Richtung ‚Gender‘“ gingen. Die Eltern eines Kindes, das dabei nicht mitmachen wollte, seien vom ÖVP-Bürgermeister bedroht worden, dass ihnen das Kind weggenommen werde. In einem anderen Kindergärten sollen, so Adam, Kinder gezwungen worden sein, sich auszuziehen, und andere Kinder hätten sie mit verbundenen Augen am Geruch von Geschlechtsteilen und des Popos erkennen müssen. „Wenn wir glauben, wir können noch Zurückhaltung üben, dann sind wir fehl am Platz“, so Adam. Alles Übel habe damit begonnen, dass die Sexualität von der Fortpflanzung getrennt wurde. Es müsse darauf hingearbeitet werden, dass die Fristenlösung verschwindet. Die „widernatürliche Unzucht“ sei so grauslich, dass sich davor sogar die Dämonen ekeln. In der heutigen Gesellschaft würde dieses „Laster“ unter dem Titel der Nichtdiskriminierung zur Tugend erklärt, ja ein regelrechter Kult um die Homosexualität gemacht werden, so Adam.
Zum Thema Immigration sagte Adam abschließend: Er dürfe darüber reden, weil er früher „die damals noch echten Flüchtlinge“ beherbergt habe. Aber: „Hätten wir in den letzten Jahrzehnten die eigenen Kinder nicht abgetrieben oder verhütet, dann hätten wir gar kein Immigrationsproblem.“ Was er damit meinte, erklärte er nicht genauer. Ähnlich verwirrt setzte er fort: „Wenn wir beginnen, unser Christentum wieder glaubhaft zu leben, dann werden wir anziehend für die bei uns lebenden Moslems. Der Islam ist keine nette, angenehme Religion, keine schöne Sache. Es ist kein Wunder, wenn junge Moslems angeekelt sind von unserer Gesellschaft. Gäbe es wieder gelebtes Christentum, bin ich mir sicher, dass die Mission unter den Moslems erfolgreich sein könnte. Damit hätten wir viele Probleme, die wir heute haben, gelöst.“
Čarnogurský lud zum Schluss noch dazu ein, im September an einem „Marsch für die Familine“ in Bratislava teilzunehmen.
Weitere Berichte:
Bericht von WienTV über die Proteste gegen den rechtsextremen Marsch und über das polizeiliche Vorgehen dagegen: https://wientv.org/pfefferspray-einsatz-gegen-lgbtiq-aktivistinnen-am-tag-der-regenbogenparade-wien