Jun 172012
 

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Tausende Menschen beteiligten sich auch heuer wieder an der bereits siebzehnten Regenbogenparade.

Dieses Jahr gab es auch – vermutlich erstmals – eine Gegendemonstration katholischer Fundamentalist_innen, die unter anderem von der Christen-Partei-Abspaltung „Christen-Allianz“ und der „Österreichischen Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum – TFP“ bzw. ihrer Proponent_innen unterstützt wurde. So galt etwa Christen-Allianz-Gründer Alfons Adam als Mitorganisator. Andere Teilnehmende waren manchen Beobachter_innen als Kämpfer_innen gegen Frauenrechte bekannt, wie Aktivist_innen von Babycaust- und Vaterrechtsinitiativen. Aufrufe zu Protest und Gebet gegen die Regenbogenparade fanden sich auch auf der Facebook-Pinwand der Jes, geschrieben von Michael Koder, der als Veranstaltungsleiter fungierte. Von ihm stammte auch ein Aufruf auf der Site von gloria.tv, in dem zu lesen war: „Wenn uns unsere Kinder einst fragen werden, wo wir denn gewesen sind, als der Sittenverfall in einer zunehmend kinderfeindlicheren Kultur in vollem Gange war, werden wir antworten, dass wir an vorderster Front im Schlachtgetümmel waren.“

Zum prophezeiten Schlachtgetümmel kam es aber nicht, sondern schlimmer: zu Ausbrüchen unsittlicher Liebe. Kaum wollten die katholischen Fundamentalist_innen am Stock-im-Eisenplatz unweit des Stephansdoms mit ihrer Kundgebung anfangen, begannen unzählige Menschen rund um sie, sich gegenseitig zu küssen, und das überwiegend „gleichgeschlechtlich“. Botschaften und Gebete, die über eine Laustprecheranlage verbreitet werden sollten, gingen in Rufen gegen Homophobie, Sambaklängen und Pfiffen unter.
Und nachdem Koder im Aufruf noch die drohende Verführung von Kindern durch Gesänge wie „Eure Kinder werden so wie wir, eure Kinder werden alle queer“ beklagte, bekam er und seine rund vierzig Mitkämpfer_innen auch dieses Gstanzerl zu hören.

Zum Kiss-in gegen Homophobie hatte das „Linke Hochschulnetz“ aufgerufen, zu einer Kundgebung „gegen homophobe Christenfundis“ die Initiative „gottlos.at“ zusammen mit der „TU*Basis“.

Küssende und tanzende Menschen zogen um die für das sittliche Fundament ihres Vaterlandes streitenden Märtyrer_innen herum, mitunter auch mal quer durch ihre Gruppe durch. Polizist_innen standen erst irgendwie mittendrin, bildeten dann eine Sperrkette, konnten sich aber nicht wirklich durchsetzen, oder versuchten dies auch nicht wirklich engagiert. Rasch war die sittliche Trotzburg wieder von sexuell Ausschweifenden umgeben. Und obendrein mischten sich auch immer mehr begeisterte Tourist_innen mit den Demonstrant_innen aller Richtungen.

Ein antihomophober Demonstrant wurde einer Identitätsfeststellung unterzogen, nachdem ein Plakat der Katholik_innen zerrissen worden sein soll. Anzeige gebe es aber nur, wenn die Katholik_innen diese erstatten, sei ihm von der Polizei versichert worden, so der Beamtshandelte.

Nach zirka einer halben Stunde wurde zur Oper losgezogen: Voran fuhren und gingen vierzig katholische Fundamentalist_innen, zweihundert weitere Menschen folgten ihnen an ihren Forderungen und Gebeten lauthals Kritik übend. An einer Fahrbahnverängung versuchte die Polizei die Teilnehmer_innen an dem ungleichen Umzug zu trennen. Über parallele Gassen ausweichend, fanden aber dennoch bei der Oper wieder alle zusammen.

Neben der Oper, am Herbert-von-Karajan-Platz, bot sich bald das gleiche Bild wie am Stock-im-Eisen-Platz: Streithafte Christ_innen umgeben von Gegendemonstrant_innen und dazwischen die eine oder andere Reihe Polizist_innen.

Um Viertel Sechs – vielleicht, weil damit zu rechnen war, dass bald die Regenbogenparade auf der Ringstraße vorbeiziehen wird – verstärkte die Polizei ihre Bemühungen, die Veranstaltungen zu trennen. WEGA kam zu Hilfe und drängte die Antichrist_innen weg. Auch Polizeihunde wurden eingesetzt, wenn auch an der Leine gehalten. Die Polizei beruhigte sich erst wieder, als ein Abstand von zirka zwanzig Metern zwischen den Kundgebungen hergestellt war.

Weiter wurden Parolen gerufen und gesungen: „Eure Kinder werden so wie wir …“. Ein Polizeihund bellte im Takt dazu.

Um 18 Uhr packten die Christ_innen zusammen, gingen und fuhren weg, zumindest scheinbar. Als kurz darauf die Regenbogenparade zur Oper kam, sei ihr von einer Gruppe betender Christ_innen kurz der Weg versperrt worden, berichtete die Hosi Wien.

Die Kritiker_innen des christlichen Fundamentalismus schlossen sich, zumindest großteils, der Regenbogenparade an, die heuer erstmals ganz um den Ring herum führte, vom Rathausplatz zum Rathausplatz – wie schon letztes Jahr allerdings nicht „andersrum“, sondern in Einbahn-Richtung. Verkehrsmäßig andersrum waren lediglich zumindest zur Hälfte die Wiener Linien unterwegs, die mit zwei mit Regenbogen geschmückten Arbeitsfahrzeugen auf beiden Gleisen die Parade begleiteten.

Den Abschluss bildete die Pride Show am Rathausplatz, bei der bis in die Nacht gefeiert wurde.

Dass die Regenbogenparaden-Website während der Parade nicht erreichbar war, sei laut Hosi Wien übrigens nicht an einem Hacker_innenangriff gelegen, sondern vielmehr an zu vielen interessierten Zugriffen, die der Server nicht mehr verkraftet habe.

Warum von den vielen überwiegend kommerziellen Werbungen, die die Pride-Show-Bühne umrahmten, just eines der wenigen politischen Unterstützer_innenbanner überklebt wurde, erscheint ein wenig fragwürdig. Bei der Forderung nach Solidarität mit verfolgten Lesben und Schwulen im Iran prangte das Logo der Initiative „Stop the Bomb“, von dem zuerst „the Bomb“ und während der Schlussveranstaltung dann auch noch „Stop“ mit schwarzem Klebeband überdeckt wurde. Die Veranstalter_innen der Pride-Show (die nicht mit jenen der Parade ident sind) erklärten das auf Anfrage so:
„In der Nacht hat von Fr auf Sa – da wurden die Banner bei der Bühne aufgehängt – gab es etliche mündliche und schriftliche Beschwerden, dass der Stop-The-Bomb-Verein eine undifferenzierte und einseitige Politik vertritt. Daraufhin wurde das Wort ‚Bomb‘ abgeklebt. Ein Gespräch mit dem Verein sollte stattfinden, um zu einer Lösung zu gelangen, leider war es aus Zeitgründen und aufgrund der Kurzfristigkeit nicht möglich, dem nachzukommen – dafür entschuldigt sich der CSD-Vienna-Verein. Als eine Vertreterin vom Stop The Bomb das abgeklebte Wort ‚Bomb‘ sah, verlangte sie die völlige Abklebung des gesamten Logos.“
Stop the Bomb bat unterdessen um eine ausführlichere Stellungnahme gefordert. Selten haben sie ein so unprofessionelles, unsolidarisches und intransparentes Verhalten erlebt wie bei diesem Umgang mit dem Stop-the-Bomb-Banner an der Hauptbühne, erklärte Simone Dinah Hartmann für Stop The Bomb.


>>Radio-Orange-Beitrag

 Posted by on So., 17. Juni 2012 at 23:14
Jun 062012
 

Vertagt wurde Mittwoch früh der Berufungsprozess gegen Pastor Joshua, der 2011 in erster Instanz zu 15 Monaten Haft wegen angeblichen Suchtgifthandels verurteilt worden war und deswegen bereits 8 Monate hinter Gittern verbringen musste. Freund_innen und Glaubensgeschwister hatten die Vorwürfe gegen Pastor Joshua erst am 1. Juni bei einer Demonstration als nicht nur falsch, sondern als Ausdruck rassistischer Polizei- und Justizpraktiken in Österreich bezeichnet.

Belastet wurde Pastor Joshua bei der Verhandlung am 6. Juni lediglich wieder von jenem immer noch wegen Dealens inhaftierten R., der behauptete, Drogen von Pastor Joshua bezogen zu haben.

Ein ehemaliger Zellengenosse von R. bezeugte hingegen, dass R. im Gefängnis wiederholt gesagt habe, dass Pastor Joshua nicht gedealt habe, und dass er ihn nur belaste, um seine eigenen Quellen zu schützen. Gegenüber dem Justizpersonal habe R. Pastor Joshua immer so demonstrativ als seinen Komplizen bezeichnet, wie es ein Häftling nie ohne Hintergedanken täte.

Ein anderer Zeuge, der vor der Polizei Pastor Joshua noch als Drogenhändler belastet hatte, erklärte vor Gericht, dass er den Händler nur im Rückspiegel gesehen habe und nicht erkennen konnte. Allerdings sei er bei der seinerzeitigen Befragung von der Polizei unter Druck gesetzt worden. Es seien ihm mehrere Fotos vorgelegt worden, und bei Pastor Joshua sei ihm in den Mund gelegt worden, dass dieser der Dealer sei. Und damit er endlich eine Ruhe hat, habe er gesagt, das könne er gewesen sein. Er habe ihn aber in Wirklichkeit nicht erkannt.

Da mehrere Zeug_innenladungen wegen technischer Probleme im Bundesrechenzentrum nicht rechtzeitig versandt und erst vor zwei Tagen für die Zeug_innen hinterlegt worden waren, wurde der Prozess auf 1. August, 9.15, Saal 305, LG für Strafsachen Wien, vertagt.

Radio-Orange-Interview mit Pastor Joshua vom 1. Juni: http://cba.fro.at/59854

Bericht von der Solidaritätsdemo auf nochrichten.net: http://nochrichten.net/?p=1088

Ausführlichere Hintergrundinformationen auf no-racism.net:
http://no-racism.net/article/4097
http://no-racism.net/article/4108/
http://no-racism.net/upload/174054603.pdf

 Posted by on Mi., 6. Juni 2012 at 11:22
Jun 032012
 

Mehr Rechte für Sexarbeiter_innen wurden am Internationalen Hurentag, am 2. Juni, diesmal am Praterstern gefordert. Bereits zum elften Mal machten Beratungsstellen, selbstorganisierte Sexarbeiter_innen und Grüne Frauen auf die institutionelle und strukturelle Gewalt gegen Sexarbeiter_innen aufmerksam.
Eine komplexe Verflechtung von Doppelmoral und Tabuisierung im Umgang mit Sexarbeit führe dazu, dass in Österreich rechtliche Regelungen darauf ausgerichtet sind, Sexarbeiter_innen unzählige Pflichten aufzuerlegen (Steuerpflicht, Registrierungspflicht, Verpflichtung der Führung eines „Gesundheitsbuchs“ etc.), jedoch keine Rechte einzuräumen, kritisierten LEFÖ (Wien), maiz (Linz), SXA-Info (Graz), PiA (Salzburg) und sexworker.at.
Das neue Wiener Prostitutionsgesetz (ProstG) verdränge Sexarbeiter_innen aus Wohngebieten und zwinge sie in illegalisierte und unsichere Arbeitsverhältnisse.
Die Grüne Sozialsprecherin Birgit Hebein macht auch Verbesserungen durch das Prostitutionsgesetz aus, zum Beispiel: gut angenommene Gutscheine für Beratungen durch NGOs für neu angemeldete Sexarbeiter_innen, Beratung statt Bestrafung für Minderjährige, Differenzierung zwischen Menschenhandel und Sexarbeit. Die Kampagne „Ich seh, ich seh, was du nicht siehst, und das ist … Sexarbeit in Wien“ der Grünen Frauen Wien ziele darauf ab, Sexarbeit sichtbar zu machen und auf die Gefahren für Sexarbeiter_innen durch Verdrängung und Verbote aufmerksam zu machen.

Die kürzlich erfolgte Entscheidung des OGH, dass Entgelt für Sex nicht generell sittenwidrig sei, wurde bei der Kundgebung überwiegend positiv bewertet, wenn auch bei sexworker.at keine Jubelstimmung aufkommen mochte, weil es sich lediglich um einen ersten Schritt handele, dem konkrete Konsequenzen erst folgen müssen.

Deutliche Verschlechterungen gibt es seit geraumer Zeit für sexarbeitende Migrant_innen aus Drittstaaten. Im Gegensatz zu früher vertritt die Polizei nun die Auffassung, dass Arbeitsgenehmigungen anderer EU-Staaten nicht mehr zur Sexarbeit in Wien berechtigen, was fremdenpolizeiliche Maßnahmen bis hin zur Abschiebung zur Folge haben kann. Dies soll demnächst Thema im Steuerungsteam zur Beobachtung der Auswirkungen des Prositutionsgesetz sein, in dem neben politischen Verantwortlichen auch NGOs, Magistrat und Polizei (also viele, bloß keine betroffenen Sexarbeiter_innen) vertreten sind.

Die langjährigen Forderungen der Beratungsorganisationen bleiben jedenfalls weiter aufrecht:

  • Entkoppelung des Regelungsbereichs der Prostitution aus den Sitten- bzw. Anstandsnormen in allen Bundesländern
  • Rechtliche Gleichbehandlung und Gleichstellung von Sexarbeiter_innen mit anderen Erwerbstätigen durch die Legalisierung der Sexarbeit als Erwerbstätigkeit und entsprechende fremdenrechtliche Änderungen
  • Schutz vor Prekarisierung, Diskriminierung, Sexismus und Rassismus

>>Radiosendung für ORANGE 94.0:
Ausschnitte aus der Kundgebung zum Internationalen Hurentag am 2. Juni 2012 in Wien und Interviews mit

  • Renate Blum, LEFÖ – Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen
  • Christian Knappik, sexworker.at
  • Uschi Lichtenegger, Klubobfrau der Grünen im 2. Bezirk
  • Birgit Hebein, Gemeinderätin und Sozialsprecherin der Wiener Grünen
  • Tina Leisch, Film-, Text- und Theaterarbeiterin, sowie Bewohnerin des Stuwerviertels

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 Posted by on So., 3. Juni 2012 at 19:05
Jun 012012
 

130 Personen demonstrierten am 1. Juni für Gerechtigkeit für Pastor Joshua und gegen dessen sowie jede andere rassistische Diskriminierung und Kriminalisierung in Österreich. „Solidarity for ever“ singend zogen sie vom Justizministerium zum Landesgericht für Strafsachen.

Pastor Joshua war am 2. Februar 2011 wegen des Vorwurfs des Suchtgifthandels verhaftet und am 29. Juli 2011 zu 15 Monaten Haft verurteilt worden. Die Vorwürfe gegen Pastor Joshua stützen sich auf fragwürdige Zeug_innenaussagen, auf in seiner Wohnung gefundenes Jam-Mehl – das zwar ein Nahrungsmittel ist, aber in polizeilichen Augen wie Kokain aussieht und zum Strecken verwendet hätte werden können – sowie auf schwarze Schuhe mit weißen Sohlen, die als Schuhe eines Drogendealers identifiziert worden sein sollen. Überdies behauptete die Polizei, bei einer längeren Observation Drogengeschäfte beobachtet zu haben. Sie schien aber vergessen zu haben, den angeblichen Suchtgifthandel zu fotografieren. So gab es zwar keine Beweise, rassistische Vorurteile reichten aber zur Verhängung der unbedingten Haftstrafe aus.

Für seine Freund_innen, Kolleg_innen, Familienangehörigen und Glaubensgeschwister in der Kirche „Grace Ministries
International“ sind die Vorwürfe nicht nur falsch und unerhört, sondern auch Ausdruck einer immer noch nicht überwundenen Kontinuität rassistischer Polizei- und Justizpraktiken in Österreich.

Sie nehmen es als nach wie vor gängige Praxis wahr, dass die österreichische Polizei alle Druckmittel, die sie zur Verfügung hat, dafür einsetzt, Schwarzen das Leben hier zu verunmöglichen – und zwar unabhängig davon, was sich eine Person hat zuschulden kommen lassen.

Und deshalb wurde nicht nur Solidarität mit Pastor Joshua demonstriert, sondern auch gegen Ungleichheit, Stigmatisierung und Rassismen. Parallelen zur Operation Spring wurden thematisiert, an die Tötung Marcus Omofumas durch die Polizei im Jahr 1999 erinnert, das Ausbleiben von Konsequenzen beklagt.

Nach acht Monaten Gefängnis war Pastor Joshua freigelassen worden. Trotzdem möchte er weiter für Gerechtigkeit kämpfen. Seine Berufungsverhandlung ist für 6. Juni 2012, 9 Uhr im Landesgericht für Strafsachen Wien, Saal 305 angesetzt.


>>Interview mit Pastor Joshua für Radio Orange

Weitere Informationen:
http://no-racism.net/article/4097
http://no-racism.net/article/4108/
http://no-racism.net/upload/174054603.pdf

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 Posted by on Fr., 1. Juni 2012 at 23:48