Jun 062015
 

Mehr als 300 Rechtsextreme marschierten am 6. Juni beim Aufmarsch der Identitären mit massivem Polizeischutz durch Wien. Hunderte Antifaschist_innen versuchten sie – teilweise erfolgreich – zu blockieren.

Am Columbusplatz in Wien 10 war seit der Früh ein Sammelort für die Identitären von der Polizei mit Tretgittern reserviert. Wer das Areal betreten durfte, bestimmten identitäre Ordner_innen. Um 11 Uhr trafen sich am nahen Reumannplatz rund 350 Gegendemonstrant_innen zu einer von der „Offensive gegen rechts“ organisierten antifaschistischen Demonstration. Diese zog zwischen 11.30 und 12 Uhr bis kurz vor den Columbusplatz. Zirka 100 Meter vor dem Sammelplatz der Identitären endete die Demo an polizeilichen Tretgittern.

Für 12 Uhr hatte das Bündnis antifaschistischer Gruppen „Turn Left – Smash Right“ zum Columbusplatz mobilisiert. In kleineren Gruppen gelang es Antifaschist_innen, bis an die Grenzen des rechtsextremen Sammelorts zu gelangen. Auch eine Gruppe Clowns mit aufgemalten Identitären-Symbolen kam. Sie karikierten die Identitären mit Tafeln wie „Österreichischer Fortpflanzungsplan statt Genderwahn“. Mit Unterstützung der Polizei hinderten die Identitären-Ordner_innen sie daran, sich der sich langsam bildenden rechtsextremen Kundgebung anzuschließen.

Gegen 13 Uhr kam eine vom Hauptbahnhof losgezogene rund hundertköpfige Gruppe von Rechtsextremen an. Kurz danach zogen die Rechtsextremen, mittlerweile auf mehr als 300 Personen angewachsen, los: über die Columbusgasse und die Davidgasse zum Reumannplatz. Ursprünglich wollten die Identitären bis zum Verteilerkreis gehen. Das ließen sie aber doch bleiben.

Die gesamte Route war von der Polizei mit Tretgittern nach allen Seiten abgesperrt. Dennoch gelang es einzelnen Antifaschist_innen, die sich rechtzeitig in den später abgesperrten Bereich begeben hatten, an einzelnen Orten die identitäre Demo für kurze Zeit aufzuhalten. Es kann auch sein, dass einzelne Polizeisperrungen von Antifaschist_innen durchbrochen worden sind – das ist aber nicht belegt.

Eine größere Blockade an der Ecke Columbusgasse/Keplerplatz wurde von der Polizei bereits vor dem Losziehen der Identitären aufgelöst.

Als die Identitären am Reumannplatz ankamen, hatte die Polizei bereits wieder einen eigenen Bereich für sie abgesperrt. Bei der Straßenbahnstation der Linie 67 kamen sich Rechtsextreme und Antifaschist_innen trotzdem sehr nahe – auch wenn sie ein Polizeigitter trennte. Bengalische Feuer flogen in beiden Richtungen. Eine dieser pyrotechnischen Fackeln wurde von einem Identitären auf die Überdachung der Straßenbahnstation geworfen, die daraufhin Feuer fing. Der Kunststoff der Überdachung schmolz, Flammen loderten einen halben Meter hoch. Nach einigen Minuten löschten Polizist_innen das Feuer mit Handfeuerlöschern. Wenig später kamen auch noch fünf Feuerwehrautos.

Kurz vor 14 Uhr beendeten die Identitären ihre Abschlusskundgebung am Reumannplatz. Sie wurden von der Polizei zur U-Bahn eskortiert.

Ein ganzer U-Bahn-Zug stand fast ausschließlich den Identitären und sie begleitenden Polizist_innen zur Verfügung. Andere Fahrgäste gab es fast nicht (aber schon auch), da zuvor alle U-Bahn-Abgänge abgesperrt worden waren.

Ohne Vorankündigung fuhr der Zug ohne Aufenthalt in dazwischenliegenden Stationen bis zum Stephansplatz durch. Erst nach dem Keplerplatz wurden die Fahrgäste von dieser Fahrplanänderung informiert.

Am Stephansplatz stiegen zahlreiche Identitäre aus. Die begleitenden Polizist_innen stiegen auch aus. Während sich die Polizei zu den verschiedenen Aufgängen begab und formierte, stiegen die Identitären wieder ein, die Türen schlossen sich, der Zug fuhr ab. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, ob die Polizei hier von den Identitären ausgetrickst wurde, oder dies von vornherein so geplant war. In den unterschiedlichen Wagen erhielten die Identitären unterschiedliche Weisungen von ihren Ordner_innen. (Einem anderen Bericht zufolge seien am Reumannplatz Ordner_innen durchgegangen und hätten die Identitären angewiesen, am Praterstern auszusteigen. Demnach müsste die Polizei von ihrem tatsächlichen Ziel gewusst haben.)

Erst beim Praterstern verließen die Identitären wirklich den Zug. Am praterseitigen Bahnhofsvorplatz sammelten sich die Identitären erneut und nahmen Aufstellung zu einem Gruppenfoto. Polizei war hier keine mehr zu sehen. Währenddessen kamen auch bereits erste Antifaschist_innen nach und skandierten antifaschistische Parolen. Einzelne Identitäre stürmten auf sie zu. Ordner_innen der Identitären hielten sie aber auf und bewogen sie zum Zurückweichen. Das gelang den Ordner_innen aber nur kurze Zeit. Nachdem ein Identitärer eine Bierdose auf die Antifaschist_innen geworfen hatte und diese zurückgeworfen worden war, stürmten mehrere Identitäre mit Stangen auf die Antifaschist_inen los, schlugen auf sie ein, warfen sie zu Boden, traten auf sie und stiegen auf sie drauf. Ein Antifaschist wurde verletzt. „Turn Left – Smash Right“ schrieb dazu in einer Aussendung: „Einer Person, die bereits zu Boden gegangen war, wurde wiederholt gegen den Kopf getreten. Sie musste mit dem Krankenwagen abtransportiert werden, konnte aber glücklicherweise mittlerweile wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden.“ Ein Identitärer, der von anderen Identitären irrtümlich auch niedergeschlagen wurde, zog sich auch Verletzungen zu. Die Identitären zogen daraufhin ab in Richtung Prater. Ein paar Minuten später, kam auch die Polizei an, und begleitete den am Gehsteig gehenden Identitärenzug mit Polizeiautos auf der Fahrbahn.

Laut Polizei-Pressesprecher Hahslinger sollen Polizist_innen die ganze Zeit dabei gewesen sein, auch bei dem Angriff der Rechtsextremen auf die Antifaschist_innen. Auf die Frage in einem Interview für die Nachrichten auf ORANGE 94.0, warum die Polizei dann nicht eingeschritten sei, wenn sie eh dort gewesen sein soll, sagte Hahslinger: „Weil zu diesem Zeitpunk die Polizei das nicht vorhersehen konnte, dass es zu diesem Konflikt kommt, sie klar in der Unterzahl war und deswegen ein Aufschub des Einschreitens gemacht wurde. Es wurde aber alles gesichert, es wird alles angezeigt und im Nachhinein dann aufgeklärt.“

Aufgrund mehrerer Anfragen: Das komplette Interview mit Polizeisprecher Hahslinger zum Anhören:

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Im Prater zogen noch rund 150–200 Identitäre ins Lokal „Das Alpendorf“ (wo früher der „Walfisch“ war, neben dem Toboggan). Nach einiger Zeit kam auch mehr Polizei nach. Zuerst machten Ordner_innen der Identitären Zugangskontrollen beim Lokaleingang. Später wurde das Tor geschlossen und Polizist_innen kamen und bewachten den Eingang.

Auch immer mehr Antifaschist_innen sammelten sich vor dem „Alpendorf“. Immer mehr Polizeieinheiten positionierten sich in der Gegend rund ums Alpendorf. Eine Hundestaffel ging in den Gastgarten hinein.

Draußen bewegten sich die Polizeieinheiten in nicht nachvollziehbarer Weise. Antifaschist_innen gingen ihnen nach, dann gingen Polizist_innen den Antifaschist_innen nach und dann wieder umgekehrt. Ein Polizist sprach von einer „Zerstreuungstaktik“. Wenn die Polizei wirklich damit versucht hatte, die bis dahin ziemlich geschlossen vor dem Lokal stehenden Antifaschist_innen auseinanderzubringen, so ist die Taktik aufgegangen.

Dennoch blieben Eingang sowie ein Hinterausgang des Lokals von zumindest einigen Antifaschist_innen bewacht. Im Gastgarten diskutierten inzwischen einige Polizist_innen mit den Identitären die weitere Vorgangsweise.

Aus dem Lokal warf ein Identitärerer einen Aschenbecher auf Antifaschist_innen. Auch Essbesteck soll rausgeworfen worden sein.

Gegen 16 Uhr wurden die Identitären von der Polizei am Hinterausgang aus dem Lokal geschleust und Richtung Praterstern eskortiert.

Aus dem neben dem „Alpendorf“ stehenden Toboggan, einer als historische Praterattraktion geltenden Riesenrutsche, tönte laut Musik: „Alles Nazischweine“.

Nachdem ein Antifaschist einen Polizisten darauf aufmerksam machte, dass ein Identitärer auffällig ein Messer in der Lederhose trug, ließ sich der Polizist das Messer zeigen, sah es sich an, und gab es dem Rechtsextremisten wieder zurück.

Am Praterstern begaben sich die meisten Identitären wieder zur U-Bahn. Sie zogen aber nicht mehr geschlossen ab. Einige fuhren Richtung Reumannplatz, stiegen aber in unterschiedlichen Stationen aus.

Eine größere Gruppe fuhr zum Kagraner Platz und hielt noch einen Fototermin ab, berichtete @dopiradikal via Twitter.

Laut Rechtshilfe gab es keine bestätigten Festnahmen. Laut Polizei gab es sechs Verletzte, keine Festnahmen, mehrere Identitätsfeststellungen sowie strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Anzeigen.

Bericht in den Nachrichten auf ORANGE 94.0 am 12. Juni 2015:


Weitere Berichte:

Minutiöse Berichterstattung im Ticker der Rosa Antifa Wien: https://ticker.raw.at/?showAll=1 (nicht dauerhaft)

Aussendung des Bündnisses „Turn Left – Smash Right“:
„Antifaschist_innen und Journalist_innen von ,Identitären’ angegriffen und verletzt
Naziaufmarsch nach entschlossenem Protest frühzeitig abgebrochen“
http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20150606_OTS0040/antifaschistinnen-und-journalistinnen-von-identitaeren-angegriffen-und-verletzt

Aussendung der AUGE/UG:
„AUGE/UG: Rechtsextreme Angriffe auf AntifaschistInnen und Gewerkschafter
Rassistische und neofaschistische Identitäre zeigten heute ihr wahres Gesicht“
http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20150606_OTS0041/augeug-rechtsextreme-angriffe-auf-antifaschistinnen-und-gewerkschafter

Resümee auf schmetterlingssammlung.at:
„10 Dinge, die wir bei der Gegendemo zu den Identitären gelernt haben“
http://schmetterlingssammlung.net/2015/06/06/10-dinge-die-wir-bei-der-gegendemo-zu-den-identitaren-gelernt-haben/

Bericht der Autonomen Antifa Wien:
http://autonome-antifa.net/index.php/2015/06/07/bericht-zu-den-aktionen-gegen-den-naziaufmarsch-am-6-juni-in-wien/

 Posted by on Sa., 6. Juni 2015 at 23:29