Jan 122015
 

An einer „Kundgebung gegen den Terror“ nahmen am Sonntag am Ballhausplatz mehr als zehntausend Personen teil. Zwölftausend waren es laut Angaben der Polizei. Mehrere tausend haben zuvor an einer Mahnwache vor der französischen Botschaft teilgenommen, und sind dann gemeinsam zum Ballhausplatz gezogen.
Anlass für alle diese Veranstaltungen waren die Anschläge in Paris.
Eingeladen dazu haben „die Bundesregierung und Glaubensgemeinschaften“.
Dieselbe Bundesregierung kündigte abseits dieses Gedenkens als Reaktion auf die Anschläge in Paris eine so genannte Sicherheitsoffensive an, die Anschaffung von gepanzerten Fahrzeugen und Hubschraubern und neue Initiativen zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung an.
Kritiker_innen meinen, dass damit wesentliche jener Freiheiten abgeschafft werden, die angesichts des Terrors zu verteidigen, bei der Kundgebung vorgespielt wurde.
Die Bundesregierung ergriff bei der Kundgebung aber gar nicht selbst das Wort. Auch die einladenden Glaubensgemeinschaften durften nichts sagen. Zu Wort kamen vielmehr Künstler_innen.
Gedacht wurde – wie es formuliert wurde – den Angehörigen verschiedener Religionen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren.
Dass in dem jüdischen Supermarkt alles andere als zufällig, vielmehr ganz gezielt Juden getötet wurden, blieb beim Gedenken am Ballhausplatz in Wien unerwähnt. Es war dies nach Anschlägen in Toulouse und Brüssel der dritte Terroranschlag gegen jüdische Einrichtungen in Europa innerhalb weniger Jahre.
2012 waren in Toulouse ein Rabbiner und drei jüdische Kinder sowie drei Soldaten ermordet worden. 2014 wurden bei einem Attentat auf das jüdische Museum in Brüssel vier Menschen getötet.
Bei allen diesen Anschlägen ging es darum, Juden und Jüdinnen zu töten, weil es Jüdinnen und Juden waren.
In Frankreich wird das auch ausgesprochen. Längst ist nicht mehr nur zu hören, „Je suis Charlie“, oder auch „Je suis Ahmed“ – im Gedenken an die bei den Anschlägen getöten Muslime –, sondern auch „Je suis Juif“. In Österreich wurde bei der offiziellen Gedenkveranstaltung kein Wort darüber verloren. Antisemitismus wurde nicht erwähnt.
Alle seien Charlie, keiner sei Jude, beklagte heute auch die Israelitische Kultusgemeinde Wien. In einem offenen Brief an die Bundesregierung schrieb sie: „Es erfüllt die Israelitische Kultusgemeinde mit Befremden und Trauer, dass bei der gestrigen beeindruckenden Gedenkkundgebung am Ballhausplatz vergessen wurde, das Wort ‚jüdische Opfer‘ auch nur ein einziges Mal zu erwähnen. Dabei war die Kultusgemeinde sogar als eine der Religionsgemeinschaften Miteinlader.“

Während bei der kleinen Gedenkveranstaltungen am 7. Jänner noch einzelne rechtsradikale Gruppen wie die Identitären oder die polnisch-nationalistische Wiedeńska Inicjatywa Narodowa versuchten, das Gedenken für ihre Zwecke zu vereinnahmen, war davon bei der Großkundgebung am Ballhausplatz nichts zu sehen. Zumindest ich habe keine rassistischen oder muslim_innenfeindlichen Transparente gesehen.

 Posted by on Mo., 12. Januar 2015 at 18:10